Advent mit Euphelia – 11. Tür
Euphelia richtete heute nur kurz den Blick zur Tür. Mehr mußte sie davon nicht haben. Das ist ein Wetter, wie geschaffen für eine Hausschreibfeder.
Da machen wir uns doch mal einen ganz schönen gemütlichen Tag, so entscheidet Euphelia und lehnt sich in ihrem silbernen Stiefelchen in aller Ruhe zurück.
Ja, aber was ist ein gemütlicher Tag? Hier in ihrem Wohnzimmer geben ihr die Gäste schnell die Antwort. Da kommen welche erst gegen Mittag zum Frühstück, da sitzen andere mit einem Rotwein vor dem Mittag im Wohnzimmer. Andere stöbern stundenlang in der Bücherscheune, um danach bei heißer Suppe und Glühwein wieder Gefühle in den Füßen zu spüren, wobei das Finderlächeln über bibliophile Schätze die Oberhand behält. Es gibt Leseratten, die sich den ganzen Vormittag für den NachdemFrühstücksschlaf in eine Decke kuscheln. Welche sitzen und lesen und bekommen ihre Umwelt gar nicht mit. Was für ein toller Tag, stellt Euphelia fest. Wie verrückt, daß dies ein Ort ist, der so viel Charme versprüht, wenn die Sonne sich versteckt.
Wunderbare Düfte dringen aus der Küche bis zu ihrer Federspitze. Oh, es wird Kuchen gebacken für die nächsten Adventstage. Die Kekse vom ersten Advent sind alle vernascht, erst in der nächsten Woche werden die Bleche neu gefüllt. Nun ist Kuchen an der Reihe.
Wenn man das Glück doch backen könnte ….
Doch dann geht das wieder los mit diesem Gewissen: Oh, wie toll haben wir denn heute gebacken und wieviel Spaß hatten wir miteinander und wie lecker sind die neuen Kekse.
Hast Du schon Klamotten zu Weihnachten? Meine Größe 38 paßt mir nicht mehr! Ohje, wo ist mein Eiweißshake?
Na toll, wer kennt es nicht: Man sucht im Fernsehen nach einem geeigneten Programm, findet Kochsendung, Kochshow, Promikochen und noch vieles mehr. Dann sucht man weiter und findet ErnährungsDocs, Diät-Ratgeber, the biggest loser und gibt auf – mit einem Stück Schokolade im Mund.
Essen spielt so eine große Rolle, daß man eigentlich allein vom DarüberNachdenken ständig Hunger hat.
Euphelia überlegt, was man denn mit den ganzen Keksen anfangen könnte, die im Backofen in der nächsten Woche auf freudige Naschkatzen warten, wenn doch jeder schon nach dem ersten Gebäck seinen Hosenbund prüft.
Vielleicht kann man eine große Kekstüte einfach ganz früh anonym vor einen Kindergarten stellen und dann freudige Kinderaugen beim Finden beobachten? Doch das ist wohl nicht mehr zeitgemäß. Viel schneller wird dann wahrscheinlich die anonyme getarnte Bombe sicherheitshalber gesprengt.
Vielleicht kann man einen großen Beutel voller Kekse in ein Pflegeheim bringen. Doch was ist, wenn ein Ei in diesen Keksen aus einer Eier-Rückrufaktion verwendet wurde? Am besten wäre es doch, die fleißigen Bäcker von Keksen machen zunächst einen Hygieneschein, bevor sie Freunde mit selbstgebackenen Kipfeln bewirten.
Euphelia hört dem gleichmäßigen Rauschen des Regens zu und erinnert sich:
Da gab es einmal ein altes Familienbackbuch. In diesem las sie die zauberhaften Rezepte für Liebesmuffins, Wahrheitsplätzchen oder auch von Törtchen, um verlorene Dinge wiederzufinden.
Ohja, das waren noch Zeiten. Wie hieß doch gleich das Buch? Es gab in ihm sogar Hinsetzen-und-Mundhalten-Brötchen. Euphelia denkt lange nach, dann kommt plötzlich das Bild des Covers in ihrer Feder an.
„Die Glücksbäckerei – Das magische Rezeptbuch“
von Kathryn Littlewood
Ohja, was für ein verrückter und köstlicher Lesegenuß. Und seid ehrlich, möchtet Ihr nicht auch einmal unbedingt einen „Umkehr-kopfüber-von-innen-nach-außen-Kuchen“ probieren?
In Vorausschau auf das Vernaschen dieses Buches entscheidet sich Euphelia zu einem strikten Ändern ihres Eßverhaltens, damit auf der Waage kein Chaos entsteht. Sie wird den Keks aus der rechten Federhälfte beim Klettern auf die Waage neben sich auf den Schrank legen. Den halben Lebkuchen, der in ihrem Federkern gerade verschwindet, wird sie erst herunterkauen, bevor sie den Blick auf die Waage wagt.
Euphelia ist ob dieser grandiosen Idee ganz euphorisch. Sie mischt sich unter das Weihnachtsvolk, um sich für weitere Maßnahmen zu beraten. Dieser Tag hinter der 11. Tür ist köstlich, wunderschön und so unkompliziert, denn heute gibt es ja bloß Kuchen.
Comments