Euphelia kann es nicht fassen. Das geht doch gar nicht. So schnell kann man nicht ÖFFNUNG sagen, da ist der Juni auch bereits vorbei. An allen vorbei gerauscht, daß man nur ein Zischen hörte. Und doch braucht Euphelia Conny nur anzuschauen, dann sieht sie und grinst, Conny war noch immer nicht zum Friseur (Torsten sieht schon wie ein echter Künstler aus!). Doch sie sieht auch und wird ernst, es waren lange, gedankenschwere 19 geöffnete Tage in diesem einzigartigen Juni, der erst in der Mitte begann. Die meiste Zeit hatte Euphelia im komplett umgebauten Foyer die Chance, alle Informationen aus erster Hand zu bekommen. Für Conny war es unübersehbar am wichtigsten, allen Gästen einen Urlaub zu bieten, der dieses Wort auch verdient. Ihr großes Vorbild war, wie schon so oft, ihr großer Bruder. Er hatte damals als Artist immer gesagt: „Keiner der Zuschauer darf spüren oder sehen, wieviel Schweiß, Anstrengung, Training und harte Arbeit uns ein perfekter Auftritt auf der Bühne kostet.“ Genauso möge es Connys Gästen ergehen. In dem Moment, wenn sie die Insel Literaturien betreten, soll die Welt da draußen auch wirklich draußen bleiben.
So viele Einzelheiten, Abläufe, Details mußten neu durchdacht und definiert werden, um diesen hohen eigenen Anspruch zu erfüllen. Wahrlich, es sind einschneidende Veränderungen, die eine große Portion Mut und Kühnheit verlangen. Tja, das Jahr der Kühnheit. Doch die ersten drei Wochen der neuen Zeitrechnung haben gezeigt: Die Kühnheit, auf einem sehr schmalen, sehr geraden und sehr ehrlichen Pfad zu starten, zahlt sich zwar vielleicht nicht in Form eines tollen Eurokontos aus, doch diese Kühnheit gibt den Gästen den erforderlichen doppelten Boden, das Netz unter dem Hochseil, um sich wirklich – und wenn es sein muß sogar mit dem Buch in der Hand – einfach entspannt fallen lassen zu können. Das zählt für Conny an erster Stelle und sie weiß, sie hat die ganze Gutshotelfamilie bei dieser Denkweise geschlossen an ihrer Seite. Gemeinsam meisterten sie diesen Neustart mit dem ihnen eigenen Zusammenhalt. Das fortwährende Putzen und Räumen nun im Hintergrund wurde unterlegt von Respekt, Harmonie und einem anfangs chaotischen Miteinander, alle bedacht, Gutes zu tun.
So manchen Abend stand Conny, das Frauenzimmer, in ihrem Frauenzimmer am Stehpult, blickte über die Felder und dachte über die Zukunft nach. „Was will ich werden, wenn ich erwachsen bin?“ dachte sie. Denn irgendwie fühlten sich diese ersten Tage wie ein Versuch in Kinderschuhen an.
Doch allmählich entwickelte sie mit ihrer wundervollen Truppe um sich herum und den vielen abstandsherzlichen Begegnungen mit alten und neuen Freunden und Gästen ein Gefühl für so eine Art Alltag. Auf der Insel Literaturien halten sich die Lockerungen weiterhin in Grenzen. Es haben nur Übernachtungsgäste Zutritt. Das Restaurant, der Gutspark, die Bücherscheune bleiben für alle Tagesgäste geschlossen. Das ist kühn, das weiß Conny. Das ist vielleicht nicht wirtschaftlich, das ahnt Conny. Aber es ist verdammt ehrlich, das braucht Conny. Dies gibt ihr die Kraft, das Lachen neu zu entdecken, das Strahlen und die Leidenschaft, diesen Ort zu schützen und als Gastgeberin zu ehren.
Es gab eine erste Lesung im Gutspark zu Mittweihnachten am 24. Juni. Conny bekam sogar Geschenke und endlich – und das war das größte Geschenk – war das Lagerfeuer wieder Mittelpunkt fröhlicher Gespräche.
Im Gutspark spielt sich das meiste Leben ab. Hier wird gefrühstückt, gelesen, mittags geschlafen, geplaudert und angeregt diskutiert, gelacht und gestrickt, einfach nur gesessen, lecker gegessen und manch ein köstlicher Schluck getrunken. Eine Wohlfühlstimmung liegt über dieser Insel. Man bleibt auf Abstand und genießt eine unaufdringliche, liebevolle Nähe. Die Gutshotelfamilie darf endlich wieder verwöhnen, und sie tut es mit Inbrunst.
Gab es für Euphelia einen magischen Moment in den letzten Tagen? JA!
Conny war noch immer so nachdenklich, bedrückt gar, ängstlich vielleicht, unentschlossen wahrscheinlich. Da gab es diesen Moment, als Maxi sie in den Arm nahm, sprichwörtlich gleichzeitig das Paddel in die Hand und sprach: „Mama, im August möchte ich an Vollmond abends auf dem See wieder paddeln. Wenn Du vorliest, kümmere ich mich um alles andere!“
Dieser Satz war wie ein Weckruf für Conny. JA, sie wird lesen an Vollmond im August im Kanun auf dem See am Abend. Und ja, Maxi kümmert sich – nicht nur um diese Tour, sondern mit Bravour um Steueränderungen, Listen, Pläne und Tabellen – und um Menschen. Und ja, in Conny beginnt es zu brodeln. Im Frauenzimmer am Stehpult entstehen neue Ideen für Kurse, Lesungen, Abende. Sie denkt an Schreibende, an Fotofreunde, Buchbinder und Schönschreiber, an Träumer und Lesende, an Reisende und Radfahrer, an Sterngucker und Gartenfreunde. Sie träumt und lächelt.
Und Liane spürt es und sucht Weine aus und Cocktails. Fruchtig, Brombeere, eisig – sie kennt Conny und ihre Gäste. Und Ingo spürt es und schreibt Menüfolgen für besondere Anlässe. Und Torsten spürt es und bereitet vor, räumt hin und her, bereitet nach und ist immer schon da, wenn Conny ihn gerade rufen will. Und so geht es der ganzen Gutshotelfamilie. Sie spürt diesen Ruck. Es geht vorwärts. Es wird wieder spannend. Es wird kühn. Leise zwar, klein, eigensinnig im wahrsten Sinne, doch es wird kühn.
Wer dabei sein wird, wer sich darauf einläßt, wird seinen Spaß haben.
Euphelia, die echte Eulenfeder, die Hausschreibfeder, hat plötzlich Gänsehaut am ganzen Federpuschel.
Über diesen Satz muß nun sogar Conny schmunzeln.
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